Taktlos to go: Beim „Cancan“ fliegen die Unterröcke in der Unterwelt
Shownotes
Er ist nicht der einzige, aber doch DER Cancan schlechthin: Der rasante „Höllencancan“ aus Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ ist eine Melodie, die wohl jeder kennt. Und so manchem fliegen dabei – zumindest vor dem inneren Auge – auch die Beine in die Luft. Der Tanz, der zu seinen Anfängen in den Pariser Varietés als regelrecht obszön galt, begeistert in „Orpheus“ die griechischen Götter. Da hat Katrin Nussmayr natürlich Fragen – und Wilhelm Sinkovicz Antworten: Wie schaffte es der Cancan aus dem Moulin Rouge auf die Operettenbühne? Was hat Offenbach, der Erfinder der Operette, da nur aus dem antiken Orpheus-Stoff gemacht? (Spoiler: „Alles verdreht!“) Wie viel Rebellion gegen die guten Sitten steckt dahinter – und wie klingt es eigentlich, wenn Schildkröten den Cancan in Zeitlupe tanzen?
Mit dieser Folge über den „Cancan“ geht unsere kleine Serie in eine weitere Runde: In „Taktlos to go“ widmen wir uns den berühmtesten Melodien der Klassikwelt und den Geschichten, die dahinter stecken. Als musikalischer Spritzer für zwischendurch!
Über den Podcast In „Klassik für Taktlose“ ergründen "Die Presse"-Feuilleton-Redakteurin Katrin Nussmayr und Klassikkritiker Wilhelm Sinkovicz gemeinsam die Welt der klassischen Musik: Braucht jedes Orchester einen Dirigenten? Warum verstört Richard Wagner so? Was war an Mozart eigentlich so toll? Wie viel Klassik steckt in „Bohemian Rhapsody“ oder Taylor Swift? Für musikalische Einsteiger und Klassik-Freunde, die’s ein wenig genauer wissen wollen.
Produktion: Wilhelm Sinkovicz / www.sinkothek.at Audio-Finish: Georg Gfrerer / www.audio-funnel.com.
Transkript anzeigen
00:00:02:
00:00:11: My
00:00:21: next guest needs no introduction heißt es gern in amerikanischen Talkshows.
00:00:25: Meine Damen und Herren, das folgende Musikstück braucht keine Einleitung.
00:01:09: Einfach berühmt sind und wir erzählen, was sie so besonders machen.
00:01:12: Jetzt haben wir schon verraten, woraus es ist.
00:01:14: Ich glaube, das wissen auch die wenigsten.
00:01:16: Auf einer Operette.
00:01:17: Ja, aus einer Operette-Orfeis in der Unterwelt.
00:01:22: Man würde bösartig eine Verarschung der griechischen Mythologie als Karrikatur auf die politischen Verhältnisse in Paris enden auf fünfzig Jahre des neunzehnten Jahrhunderts.
00:01:33: Ah, spannend.
00:01:34: Jetzt ist die Frage, fangen wir an mit der Verarschung, fangen wir an mit den politischen Verhältnissen, fangen wir an mit dem Concours oder fangen wir an mit der Geschichte von Orphäus.
00:01:44: Ja, es mischt sich da alles zusammen.
00:01:48: In den Nutshell, was muss man über den Concours wissen?
00:01:51: Was
00:01:51: muss man über den Concours wissen?
00:01:52: Also, der Concours ist...
00:01:54: Ist auch ein Tanz, oder?
00:01:56: Auch ein Muster, das sich wiederholt, dass Komponisten, Tänzer, die schon... beliebt sind in ihre Opern ein, oder?
00:02:03: Das heißt mir bei der Carmen, mit der Habanera.
00:02:06: Mit
00:02:06: der Carmen, so mit der Habanera, das ist immer wieder so.
00:02:10: Auch in der Klassik, also bis herauf, also zu Mozart gibt es stilisierte Tänze.
00:02:17: Das sind oft Baroqueformen.
00:02:18: Baroque Tänze, eine Gavotte zum Beispiel und eine Buree oder ein Menuet kann zu einem... Tanzlied werden kann zu einer Aree werden.
00:02:27: Und da sind wir eigentlich bei der Wurzel.
00:02:29: Sechzehnhundert und die folgenden Jahre vor allem Claudio Monteverdi, der Vater dessen, was wir heute als erste Repertoire opera bezeichnen, hat einen Orpheo komponiert.
00:02:41: Wir haben eine wirkliche.
00:02:43: Beliebter Stoff.
00:02:44: Absolut eine mythologische Oper auf den Orphaisstoff.
00:02:49: Und da gibt es diese Folgen von.
00:02:52: Arien und Rezitativen, wie wir sie kennen, eigentlich noch nicht so durchgebildet, wie man es normalerweise kennt, sondern das sind eigentlich die Dinge, die wir heute sagen, das sind die schönen Nummern, also die Arien, das sind alles Tänze.
00:03:07: Denn die Handlung wird erzählt nur in den Rezitativen, also das ist ein überhöhter Sprechgesang.
00:03:13: Und das hat sich gehalten in den Opern?
00:03:15: Es
00:03:15: hat sich gehalten, dass sozusagen die schönen Stellen, die melodischen Stellen, aus Tänzen heraus destilliert worden sind.
00:03:24: Das ist eigentlich die Wurzelform.
00:03:26: und dann die komplexeren Kompositionen für Vokalsch, für Singstimme und Orchesterbegleitung, die wir als Arien kennen, die dann überhaupt nichts mehr Tänzerisches haben, sind etwas spätere Erfindungen.
00:03:39: Das kommt im Spätbarock und in der Klassik dann.
00:03:43: Tänze, dass zu Tänzen gesungen wird und dass die eigentlich diese ariosen Elemente in den Opern sind, das zieht sich weit, weit herauf.
00:03:52: Und natürlich in der Operette ganz besonders.
00:03:55: Nicht das Walzerlied, das ist die ganze Operettengeschichte ohne Walzer und Engpaar.
00:04:00: Aber der Cocon hat keinen Gesang.
00:04:02: Das ist doch ein Instrumentarstück.
00:04:04: Der hat
00:04:04: auch einen Gesang.
00:04:05: Natürlich gibt es das.
00:04:06: Zum Beispiel am Schluss des zweiten Agz der Lustigen Witwe von Franz Leher wird ein Konkang gesungen.
00:04:14: Und das ist ein zündendes Finale, zu dem natürlich auch getanzt wird.
00:04:53: Wir sind da mitten in das immer in der Silberne Operette.
00:04:56: Und bei Offenbach funktioniert es genauso.
00:04:58: Das ist mit Coa, das kann mit solistischen Stimmen sein, dass wir dann natürlich als Zwischenspiel zwischen den Akten einfach so als zündende Musik gespielt, ohne dass jemand dazu singt.
00:05:09: Das wird ja alles vielfach verwertet.
00:05:12: Das kennen wir heute auch.
00:05:14: Dass gewisse Lieder, gewisse Kompositionen in vielfältigster Form da geboten worden sind.
00:05:22: Und natürlich der Concrant von Offenbach.
00:05:24: Das ist sofort ein Reißer gewesen.
00:05:27: Der von sämtlichen Drehorgelspielern in Paris war rauf und runter gespielt worden.
00:05:31: Der Concrant ist jetzt aber auch kein ganz üblicher ... Tanz, kein handelsüblicher Tanz, weil da fliegen die Unterröcke.
00:05:41: Das ist doch der typische Varietetanz, oder so.
00:05:45: Ich denke da an Moulin Rouge, an eben fliegende Unterröcke, an Beine, die in die Höhe geworfen werden.
00:05:50: Das ist typisch Konkord, oder?
00:05:52: Absolut,
00:05:52: das ist es.
00:05:53: Das ist auch immer in den Operetten, das gibt es ja eben.
00:05:56: Tausendfältig, also das ist Jahrhundertmal kopiert worden.
00:05:59: Das wirkt natürlich immer, wenn die Ballettmedels da an der Rampe sich aufstellen und die Beine fliegen lassen und dann die Röcke heben und das ist ein riesiger Wirbelwind.
00:06:10: und das Ganze ist natürlich erotisch aufgeladen, nicht nur im Urlauch stört, aber sowieso weiter ist das überhaupt der Haupttanz hergedanzt.
00:06:17: Aber lustig, dass das dann auf die Opernbühne gefunden hat, was vorher in ... doch?
00:06:21: Eher fragwürdigen, sehr freizügigen Etablismas gepflegt wurde, nämlich diese Art von Tanz.
00:06:28: Das hat schon was Anrühiges gehabt, oder?
00:06:31: Ja, natürlich.
00:06:32: Ganz, ganz dringend.
00:06:33: Und das war ja das Tolle, dass der Offenbach sich getraut hat, diese Dinge auf die Operettenbühne zu bringen.
00:06:40: Wobei man mal sagt, Operettenbühne, ja, das war das Musiktheater, das Unterhaltungstheater.
00:06:45: Die Operette in unserem Sinn hat ja Offenbach überhaupt erfunden.
00:06:49: Das ist ja eine Pariser Gattung.
00:06:50: und das immer natürlich durch Johann Strauß.
00:06:52: Wir verkaufen alles, das wienerisch, aber es ist tatsächlich durch Nestroy nach Wien gebracht
00:06:59: worden.
00:07:00: Der hat die Offenbach-Operaten übersetzt.
00:07:03: Absolut.
00:07:04: Und hat das nach Wien gebracht.
00:07:05: und sozusagen, die lustige Witwe ist ja, was wir gerade gehört haben, ist ein halbes Jahrhundert später.
00:07:11: Das war frech bis zum... Ein Dritter Zensur, das muss man sagen.
00:07:18: Natürlich, die konnten ja nicht alles auf die Bühne bringen, was sie gerne gemacht hätten.
00:07:23: Aber die Leute sind natürlich hingelaufen, weil sie gewusst haben, erstens einmal von den Texten.
00:07:28: Das geht, die erzählen was über Orphais, aber in Wirklichkeit geht es gegen Napoleon III.
00:07:33: Und die, die hingegangen sind, waren natürlich die Nutznießer des Systems, wie es immer ist.
00:07:38: Man muss ja nur mal schauen, beim vieleren Fasching, ich will das jetzt vom Niveau her nicht vergleichen mit einer Offenbach-Operatär, aber beim vieleren Fasching, die Politiker, die gerade durch den Kakao gezogen werden im Fernsehen, sobald die Kamera da ist, hauen sich am meisten lachend auf die Schenkel.
00:07:52: So ist das.
00:07:53: Und so war das immer schon.
00:07:54: Also, wenn man Spiegel vorgehalten kriegt, lacht man ja umso lauter, weil man selber ist es ja nicht, sagen ja die anderen, der in der Nebenloge.
00:08:02: Okay.
00:08:03: War das frivol vom Offenbach?
00:08:06: Ja,
00:08:07: also diesen Kankan jetzt auch auf seine Bühne zu bringen.
00:08:10: Jetzt nur zur zeitlichen Einordnung.
00:08:12: Der Kankan hat sich um die Aktivität in der Pariser Cabaret-Kultur etabliert.
00:08:18: Und die Operette ist in der Unterwelt rausgekommen.
00:08:24: Das war dann schon offenbar ein recht etablierter Tanz.
00:08:26: Aber ich weiß nicht, ob war das vorher dann schon in allen gesellschaftlichen Milieus angekommen?
00:08:32: noch eine Verruchte angelegen hat?
00:08:34: Verrucht insofern, als natürlich jeder
00:08:38: hat gewusst,
00:08:39: was es ist, super sief.
00:08:41: Jeder hat gewusst, was es ist, jeder ist hingangen natürlich.
00:08:44: Und jeder hat gesagt, das ist ja ganz unmöglich, aber eben stillen haben sie sich alle darüber unglaublich amüsiert und gefreut.
00:08:51: Das ist ja genau dieser Grenzbereich, der das Theater damals ja unglaublich präsent gemacht hat.
00:08:57: Die harmlose Operette, wie wir sie kennen, wo kürzlich Walzer getanzt wird, ist ja wirklich eine wienerische.
00:09:05: Frechheit eigentlich gegenüber dem hochpolitischen Offenbach, den auch Karl Graus zum Beispiel sehr geschätzt hat und hat ja dann im Wien des Feindes Jägel, Karl Graus, hat ja Offenbach Aufführungen veranstaltet, weil er genau gewusst hat, das ist die präsenteste Art von Musikdeater, die es überhaupt je gegeben hat.
00:09:24: Und in Wien ist das total verharmlost worden.
00:09:27: Absolut.
00:09:27: Dann können wir ja jetzt doch über diese Operette konkret sprechen und auch die Geschichte, die darin erzählt wird.
00:09:32: Vielleicht sagen wir kurz, was dieser Offen Stoff, was da die Vorlage eigentlich ist.
00:09:39: Die Vorlage ist der klassische Orphalsmythos, der Sänger, der also Steine erweichen kann, weil er so schön singt.
00:09:50: Das ist der Orphals.
00:09:52: Und seine Frau Eurydice.
00:09:53: Ja, Eurydice wird von der Schlange gebissen und geht, wandert in den Hades, ins Trotenreich.
00:10:03: Und er ist untröstlich und möchte sie zurückholen.
00:10:08: Und das wird ihm jetzt erlaubt.
00:10:10: Er kann dahin untergehen, er kann sie holen.
00:10:12: Aber unter einer Bedingung.
00:10:14: So ist es, er darf sich nicht nach ihr umquellen.
00:10:18: Was eine sehr willkürliche Vorgabe der Götter ist.
00:10:21: Das klingt sehr random.
00:10:23: Du darfst sie holen, aber wir machen es dir schwer.
00:10:26: Das ist so, als wenn sie sagen, du darfst nur auf dem rechten Bein springen dabei.
00:10:29: Na ja, gut.
00:10:30: Aber ich meine, es ist ja auch nicht so ohne, dass man seine verstorbene Frau, die man so liebt, aus dem Totenreich zurückholen kann.
00:10:37: Das ist ja eher entgegengekommen.
00:10:38: Da soll man sich halt nicht umdrehen, sagt man.
00:10:40: War das zu amüsemarter Götter gedacht, dass die ein bisschen was zum Schauen haben?
00:10:45: Wie er das dann versucht unter dieser Schwierigkeit?
00:10:48: Schaut es her, ja.
00:10:50: Da dreht sich nicht um.
00:10:51: Also wie ich meinen Freund Zweiss kenne, ist das durchaus möglich, dass es auch so gedacht war.
00:10:58: Ich meine, es ist natürlich eine Metapher für die menschliche Schwäche.
00:11:02: Trotz der Stärke, er kann da runter, er bezwingt den Zerberus, besämpftigt ihn den Höllenhund mit seinem Gesang.
00:11:12: Er wird der Ritige ansichtig und sie darf ihm folgen.
00:11:18: Und dann wird die Geschichte unterschiedlichst erzählt.
00:11:22: Die schlimmste Version ist, dass sie glaubt, er schaut sie nicht an und liebt sie nicht mehr.
00:11:27: Sie ist wie in
00:11:27: der Zauberflöte, wo die Herren nicht mit den Damen sprechen dürfen aus völliger Willkür.
00:11:33: Ja, das kommt natürlich genau von dort.
00:11:35: Absolut.
00:11:35: Und
00:11:35: sie denkt sich, warum redet er nicht mit
00:11:37: dem?
00:11:37: Ja, genau, das ist
00:11:38: die... Da ist so Wolken.
00:11:39: Geht es euch an Spaß machen.
00:11:40: Ja.
00:11:41: Die Blädengöter.
00:11:41: Die Blädengöter.
00:11:43: Aber er hat so Sehnsucht und weiß nicht, folgt sie ihm oder folgt sie ihm nicht, dass er sich umdreht und schaut, ob sie eh da
00:11:49: ist.
00:11:49: Das heißt, es ist auch eine Prüfung, ob er... ihr vertraut, ob sie ihm wohl nachgeht, auch wenn er gar nicht schaut.
00:11:56: Ja, das ist eine mögliche Deutung.
00:11:59: Das ist auch die andere Deutung, das ist möglich, ob er den Göttern vertraut.
00:12:05: Er schafft es ja dann auch
00:12:06: fast.
00:12:07: Aber nur fast.
00:12:07: Weil der Zeuss dem Tag das nicht so, dann wirft er schnell einen Blitz, lenkt ihn ab oder so, läuft er so?
00:12:16: Wie gesagt, die Geschichte wird unterschiedlich erzählt.
00:12:18: In den netten Versionen, in den Opern-Versionen gibt es dann die Erlösung, obwohl das sich umgedreht hat, dass der Amor eingreift und sagt,
00:12:26: na komm, das ist ein Solierplatz
00:12:29: zusammen.
00:12:31: So ist das Antike-Stoff.
00:12:32: Bei Offenbach ist das natürlich ganz anders, weil es ist ja eine Persiflage.
00:12:36: War das eine so kurze Zwischenfrage?
00:12:38: War das modern in der Zeit, um die Antike zu persiflieren?
00:12:44: Offenbach eigene Erfindung.
00:12:46: Nein,
00:12:47: nein, nein.
00:12:47: Das war schon modern, insofern als, da muss man jetzt etwas sagen.
00:12:53: Das ist, ich weiß nicht, was man heute auf die Bühne bringen müsste, damit das irgendeine Netflix-Serie, die wirklich neunundneinzig Prozent der Menschheit gesehen haben.
00:13:04: die als Geschichte erzählt, so wie man damals den Orphais erzählt hat.
00:13:08: Jeder kannte die Geschichte von Orphais und Eurydicke.
00:13:11: Das war Bildungsgut.
00:13:15: Das hat jeder gewusst.
00:13:15: Die Leute, die ins Theater gegangen sind, wussten, wer der Orphais ist und wer die Eurydicke ist.
00:13:20: Dann kann man sich, wenn man so eine Komödie draus macht, auch mehr erlauben, weil man weiß, die Leute kennen den Stoff und
00:13:26: verstehen
00:13:27: die Umwandlungen.
00:13:29: Jeder hat die Vorhörnungen sofort als amüsantes.
00:13:34: Das ist ja für uns kaum mehr möglich, wir kennen das nur mit Gebrauchssortleitung anscheinend.
00:13:38: So wie ist es jetzt bei Offenbach?
00:13:40: Da ist dieses liebes Panich so ein harmonisches... Trautes Liebespaar wie in der Antike.
00:13:46: Ja, genau.
00:13:47: Die
00:13:48: mengen sich gar nicht.
00:13:48: Die mengen sich
00:13:49: in Wirklichkeit.
00:13:50: Das fangt eben schon so an.
00:13:52: Also, es ist alles wirklich auf den Kopf gestellt.
00:13:55: Alles wirklich auf den Kopf gestellt.
00:13:56: Und es sind sehr zeitgeistige Damals wie heute.
00:14:01: Zeitgeistige Beziehungskisten.
00:14:04: Es ist die Obrigkeit, wo lauter Drotteln sitzen und so.
00:14:08: Einfach ganz ruhig gesagt, sehr heitig.
00:14:10: Also, wie auch immer, das funktioniert immer.
00:14:12: Nicht die Kritik an der O... die Kritik an der eigenen Ehefrau, die Kritik am eigenen Ehemann, das geht ja immer wechselseitig, so wie jede Komödie, jede Boulevardkomödie baut sich
00:14:23: so auf.
00:14:25: Nur haben die meisten Boulevardkomödien oder die meisten Soap-Opres, die wir sehen, die ja auch so funktionieren, nicht so gute Musik.
00:14:32: Das Enorme von Orphes in der Unterwelt ist, dass einfach die Musik von Offenbach zündet von A. und das Zündens, der ist eben der
00:14:43: Kanker.
00:14:44: Der ja auch Höllenkanker genannt wird, weil er eben in der Unterwelt oder in der Hölle spielt.
00:14:47: Wann passiert das?
00:14:48: Was ist das für eine Szene und wer tanzt hier für wen, diesen Kanker?
00:14:52: Das ist im allgemeinen Tohova Boho als Finale, wie dann bei... Leha in der lustigen Witwe, das mündet in einen Konkons.
00:15:02: Das ist ja bei diesen Operetten.
00:15:07: Bei den wirklich guten Operetten gibt es ja irgendwann einmal den Punkt, wo niemand mehr weiß, was jetzt überhaupt los ist und alles drunter und drüber geht.
00:15:14: Und in dem Moment wird eben so eine Tanzszene gezündet.
00:15:17: Dann passt es ja auch ganz gut, dass dieser Konkons, also der ist nicht von ungefähr auch ein beliebtes Kartonmotiv, also eine beliebte Untermalung von Kartons, ähnlich wie die Uvertüre zu Wilhelm.
00:15:27: Tell, über die wir schon einmal gesprochen haben, oder?
00:15:29: Ich finde, das hat ja auch eine ähnliche Dynamik.
00:15:31: Da geht es auch um so rassante chaotische Energie.
00:15:35: Ja, es ist absolut so, dass Rosini im Wilhelm Tell komponiert einen Galopp.
00:15:54: Und das ist natürlich musikalisch gesehen total verwandt mit dem Kanker, der auch eine Art Galoppade
00:16:01: ist.
00:16:01: Okay.
00:16:02: Und ist das eigentlich immer so schnell?
00:16:05: Im Prinzip ist der Kanker.
00:16:07: immer so schnell, sehr schnell.
00:16:08: Es gibt aber natürlich ein wunderbares Gegenbeispiel, das mit dieser Frage, die du gerade gestellt hast,
00:16:15: spielt.
00:16:16: Denn Camille Saint-Saint, ein ganz bedeutender spätromantischer französischer Komponist, lässt die Schildkröten in seinem Karneval der Tiere.
00:16:28: In Zeitlupe.
00:16:30: Natürlich auch so schnell wie Schildkröten in einem Konkord tanzen.
00:17:06: Bei Orphäus in der Unterwelt ist es ja so, um nochmal zur Handlung zurückzukommen, dass der Orphäus hat seine Affäre, die eure Dicke hat ihre Affäre, die haben sich eigentlich auseinander gelebt und für die beiden ist das auch okay so.
00:17:20: Aber die öffentliche Meinung hat anderes im Sinn.
00:17:24: Die öffentliche Meinung ist eine personifizierte Gestalt.
00:17:28: Eine personifizierte Kolumnistin.
00:17:32: Was die Leute so sagen würden.
00:17:33: Was so gesagt wird, was geschrieben wird, die GZ.
00:17:37: Das war ja damals schon unglaublich wichtig.
00:17:39: Was steht in der Zeit und so wie heute im Zeit im Bild?
00:17:42: Was ist in der Zeit im Bild?
00:17:44: Was gehört sich?
00:17:44: Das Wichtigste
00:17:45: sind die Seitenblicke.
00:17:46: Und die Euridike hat eine Affäre mit dem Pluto und der entführt sie in die Unterwelt.
00:17:52: Und für den Auffall ist das eigentlich okay, weil damit ist eh in Ordnung.
00:17:56: Sein Problem
00:17:57: weniger.
00:17:57: Genau.
00:17:58: Aber auf Druck der öffentlichen Meinung muss er sie zurückholen.
00:18:02: Und das gelingt ihm dann letztlich nicht zu seinem eigenen Glück, oder?
00:18:06: Kann man das so zusammenfassen?
00:18:07: Also
00:18:08: man kann es nicht schöner umdrehen, als es dann passiert ist.
00:18:11: Dann hätte ich jetzt eine These.
00:18:14: Weil es geht ja dann offensichtlich in dieser Operette um Ehebruch und darum, dass Paare nicht immer so sehr daran interessiert sind, ihre Beziehung zu retten und dass sie auch ganz froh darüber sein können, wenn jeweils andere Personen in die Unterwelt entführt wird.
00:18:28: Ist es dann ganz bewusst von Offenbach so gewählt, dass dort in der Unterwelt ein so frivoler Tanz aufgeführt wird, der ja auch für eine Rebellion gegen die guten Sitten steht?
00:18:38: Natürlich, das ist so wie der berühmte Spruch.
00:18:40: Brave Mädchen kommen in den Himmel, schlimme kommen überall hin.
00:18:43: Also
00:18:44: ich meine, von der Gesellschaft her sagen ja viele Zyniker, ich wär lieber in der Hölle, weil da oben ist mein Zufahrer.
00:18:49: Das ist lustig.
00:18:50: Und die Götter, sind die dann so?
00:18:51: das lösstene Varietepublikum, das Pariser, also kann man das damit so ein bisschen gleichsetzen, die sich das alles aus der ersten Reihe anschauen?
00:18:59: Kann man sicher so sehen und das ist sicher auch zum Teil so gedacht.
00:19:04: Das ist auf der anderen Seite, dass die Oberschicht des zweiten Kaiserreichs, dass die Puppen tanzen lässt.
00:19:11: Auf der anderen Seite ist es natürlich das reiche Bürgertum, das reiche und fettgewordene Bürgertum, das in der ersten Reihe sitzt und sich das alles locker leisten kann.
00:19:20: Und auf das schaut mit einem gewissen Behagen, schau, was wir alles erreicht haben und wir können uns leisten, dass wir uns über die antiken Götter lustig machen und in Wirklichkeit.
00:19:32: über die Hof Camarilla, nicht?
00:19:35: Also immer wieder eine Rebellion gegen die öffentliche Moral, aber auch gegen die Obrigkeit, gegen die Brüden, Sitten,
00:19:45: kann man doch sagen.
00:19:46: Ja, das kann man ruhig sagen, natürlich.
00:19:48: Genauso wie die Konkons, Tänzerinnen in den Cabarets.
00:19:51: Ja, gewissermaßen auch wenn ... wenn sie sexualisiert worden sind und vielleicht auch ausgebeutet worden sind, haben sie ja dann doch sich laut und wild auf die Bühne gestellt und ihre Unterrücke gezeigt.
00:20:02: Ja, ja, na klar.
00:20:03: Aber wehe, sie hätten das auf der Straße gemacht.
00:20:06: Das hat
00:20:07: alles seinen Raum.
00:20:09: Ja, genau, es hat alles seinen Platz, auch die Frivolität.
00:20:12: Bevor wir diese Konkonszene im ganzen Anspiel ... Dieses Stück hat ja, oder dieser Tanz in diesem Fall hat da ja mehrere Teile.
00:20:20: Da gibt es so Melodieschnipsel, die für sich genommen schon wiedererkennungswert haben.
00:20:25: Was kannst du denn musikalisch darüber sagen?
00:20:27: Das ist der typische KO-Effekt, den es sehr oft gibt bei sehr guten und sehr melodiebegabten Komponisten, dass das ja schon ziemlich melodisch anfängt.
00:20:37: Schon die Einleitung.
00:20:38: die wir gleich hören werden, ist spritzig, witzig und bereitet uns vor.
00:20:44: Da kommt was, nicht?
00:20:45: Und dann kommt schon einmal eine sehr, sehr gute und nachsingbare und vor allem wunderbar tanzbare Melodie.
00:20:51: Und dann schlägt es noch einmal um und dann kommt der Kanker, so wie wir ihn kennen, wo wir wissen und ab jetzt werden die Rücke gehoben.
00:20:58: Dann hören wir uns das Ganze jetzt noch einfach mal an.
00:21:02: Davor verabschieden wir uns noch.
00:21:03: Danke fürs Zuhören.
00:21:04: Und auf Wiederhören.
00:21:49: Ciao.
00:23:16: Klassik für Taktlose.
00:23:22: Mit Katrin Nussmaier und Wilhelm Zinkowicz.
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