Musiksalon: Meine Lieblingsaufnahmen - Sir John Barbirolli dirigiert Mozart
Shownotes
Wahrlich historisch. 1941 in New York aufgenommen. Aber für meine Begriffe hat kein Dirigent je wieder so drastisch vermitteln können, was "Sturm und Drang" in der Musikgeschichte bedeutet. Man hört, wie der junge Mozart als Ausdrucksmusiker das erste Mal aufs Ganze geht.
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00:00:00: der Musiksalon mit Wilhelm Senkowicz
00:00:11: Herzlich Willkommen im Musiksalon, meine sehr geehrten Damen und Herren!
00:00:22: Ein höhere Meint, ich möge doch einmal meine Lieblingsaufnahmen vorstellen, wie versprochen.
00:00:28: Also gut, beginnen wir mit Mozart, aber ich warne sie, meine lieben Hörerinnen und Hörer.
00:00:34: Meine Lieblingsaufnahmen stammen recht oft aus alter Zeit
00:00:40: und genügen daher keineswegs den klangesthetischen Normen unserer digitalisierten Zeit.
00:00:47: Aber ich verspreche Ihnen, was immer ich Ihnen im Zuge dieses Musiksalons vorsetze,
00:00:53: das wird musikalisch interpretatorisch, von einer solchen Qualität sein,
00:00:59: dass man auf moderne Klangaufbereitung gern verzichten wird.
00:01:04: Freunde des geschniegelten Digitalklangs, die warne ich allerdings vorab schon.
00:01:10: Beginnen wir mit Mozart, einer seiner frühen Symphonien, genauer aus der Salzburger Periode,
00:01:17: ab 1773, da war der 17-Jährige gerade mit seinem Papa von einer der großen Italienreisen zurückgekehrt
00:01:28: und es begann die Salzburger Phase, die Mozart, wie wir wissen, sehr auf die Nerven gegangen ist.
00:01:34: Aber seine ersten Symphonien stammten eben aus Italien oder jedenfalls aus dieser italienisch dominierten Zeit
00:01:43: und es waren im Großteil eigentlich dreisätzige italienische Opernuvertüren nach dem Motto "schnell, langsam, schnell".
00:01:52: Dann gab es aber in dieser Zeit bereits den von Haydn kultivierten eigentlich in Mannheim geborenen Typ der 4-Sätzigen Symphonie,
00:02:02: wo also zwischen dem langsamen und dem schnellen Schlusssatz ein Menüett eingeschoben wird
00:02:08: und diesen Typus hat sich Mozart dann in seiner Salzburger Phase ab 1773 erarbeitet
00:02:15: und er hat dann gleich auch die Manier des galanten, gefälligen, spritzigen abgelegt.
00:02:23: Das heißt, spritzig ist seine Musik natürlich auch weiterhin geblieben,
00:02:26: aber er hat sie aufgeladen mit höchster Dramatik, also der Musikdramatiker und der Psychologe.
00:02:34: Mozart, die melden sich da zum ersten Mal wirklich zu wart in der Instrumentalmusik.
00:02:41: Nirgendwo kann man das vom ersten Ton an so drastisch erleben, wie in der sogenannten kleinen G-Moll-Symphonie,
00:02:50: also nicht die berühmte G-Moll-Symphonie, Körgelfahrzeichen ist 55, sondern jene, die bei Kökle mit 183 nummeriert ist.
00:03:00: Ja, und meine Lieblingsaufnahme davon, sie stammt aus dem Jahr 1941, entstand in New York
00:03:07: und am dirigenten Pult stand Sir John Barbieroli.
00:03:31: Ich glaube, sie werden mir recht geben, meine lieben Hörerinnen und Hörer.
00:03:35: Eine derartige Drinklichkeit sucht man gerade in Mozart Interpretationen nach heutzutage eigentlich vergeblich.
00:03:43: Bleiben wir also bei Barbieroli und den Musikern des New Yorker Philharmonischen Orchesteres Anno 1941.
00:03:52: Bevor ich Ihnen diese ungehördramatische Aufnahme zur Gänze vorspiele,
00:03:58: lassen wir uns doch an Detail von den Musikern durch Mozart's Dramaturgie führen.
00:04:04: Auf den eben gehörten stürmischen Beginn folgt quasi als Antwort die Stimme eines Individuums.
00:04:13: Es ist der fabelhafte Obon-Solist der New Yorker aus der damaligen Zeit,
00:04:18: der seine menschlichen, laute, ungeheuer Ausdrucksvoll serviert und am Ende des Abschnitts in vollkommener Harmonie
00:04:26: mit seinen Bläserkollegen sich wieder ins Kollektiv einfügt.
00:04:30: Dieses klangliche Raffin-Mau ist auch in der historischen Mono-Aufnahme sehr gut hörbar, wie ich denke.
00:04:53: Jetzt folgst, wie sich es in der klassischen Symphonie gehört auf diesen dramatischen Eingang
00:05:00: mit einem Auftakt und einer Gäntese ein scheinbar versöhnliches, nach dualgewendetes Seitenthema.
00:05:08: Dem geht aber die Energie der rhythmische Elan, das vorwärtsdrengende, nicht verloren.
00:05:14: Kennt er der derzeitigen Regionalklangpraxis, die grümmen sich wahrscheinlich jetzt leidvoll,
00:05:21: und sie hören, wie John Barbirole mit den New Yorkern diese Musik fraisieren lässt, die Vorschläge.
00:05:27: Die sind nach heutigen Gusto sehr altmodisch, ganz kurz gehalten, man weiß, angeblich hat man sie damals anders gespielt.
00:05:35: Ich glaube aber, die Sogwirkung, das, was mit dieser Musik gemeint ist, das ist trotzdem unausweiglich.
00:05:52: [Musik]
00:06:22: [Musik]
00:06:25: Kenner haben bemerkt, wir sind jetzt quasi in die Durchführungspassage in den Mittelteil,
00:06:34: in den verarbeiteten Mittelteil eines ersten Symphoniesatzes eingebogen,
00:06:39: und Barbirole verzichtet auf die vorgeschriebene Wiederholung.
00:06:43: Auch das eine Sünde wieder den Originalklanggeist, aber genau genommen Musik,
00:06:49: die dermaßen stürmisch vorantreibt, wie sollte die irgendwelche Statements wiederholen.
00:06:55: Aber da sind wir in der Diskussion der Musikwissenschaftler.
00:06:59: Uns geht es ja heute um eine dringliche, ausdrucksstarke Interpretation.
00:07:04: Und die führt uns gleich in die Diskussionspassagen der sogenannten Durchführung.
00:07:12: Da kehrt nach den anfänglichen Auffallungen die Obohe wieder, die menschliche Stimme, die humanen Einwürfe.
00:07:21: Aber sie wird zweimal durch Farsche Einwürfe an der Entfaltung ihrer menschlichen Botschaft gehindert.
00:07:29: Danach sinkt die Musik resigniert in sich zusammen.
00:07:34: [Musik]
00:07:55: Die Reprise tritt ein. Und nach dem gängigen Muster eines so natten Hauptsatzes
00:08:03: muss nun auch das Seitenthema, also eigentlich die gesamte Musik, die in der Exposition vorgestellt worden ist,
00:08:11: in der Haupttonart verharren.
00:08:14: Das heißt, auch das Durthema, das Seitenthema, er klingt nun in Moll.
00:08:20: Und zwar ziemlich trotzig. Die Obohe, also die menschliche Stimme, hat da jetzt offenbar gar keine Chance mehr.
00:08:28: [Musik]
00:08:57: [Musik]
00:09:02: Wir erleben da das, was Al Bamberg später einmal so umschrieben hat, musikalische Themen und Motive, sie erleiden Schicksale.
00:09:11: Das heißt, es wird nie etwas ein zweites Mal gesagt, genauso unverändert, wie es vorher gesagt worden ist.
00:09:19: Mozart nimmt uns also in diesem ersten Satz einer kleinen Gemollsymphonie letztlich die Hoffnung, dass das alles noch gut ausgehen könnte.
00:09:29: Und es ist ganz interessant, jetzt einmal zurück zu blenden, wie eine bestimmte Passage in dieser Exposition geklungen hat.
00:09:38: Merken Sie im Folgen, wie die Musik in raschen Läufen nach oben schmeldet.
00:09:44: [Musik]
00:09:52: Es war also ein heftig bewegtes Statement in Dur und dieselbe Musik, wie gesagt, jetzt in Moll.
00:09:59: Und sie endet auch nicht mit diesen rasanten Läufen, sondern statt dieser Läufe erklingt eine kreisende Bewegung ein gefährlicher Strudel,
00:10:09: als ob eine Stromschnelle die Musik zu verschlucken droht.
00:10:14: [Musik]
00:10:23: Und tatsächlich schleudert Mozart nun im Ausgang dieses ersten Satzes die musikalischen Figuren durcheinander
00:10:31: und am Schluss scheint alles in diesem in den mittelstimmenden kreisenden Motiv wirklich zu versinken.
00:10:38: Ziemlich ausweglos.
00:10:40: Und von John Barbiroli mit seinen New Yorker Musikern auch entsprechend knallhart und unerblicklich musiziert.
00:10:49: [Musik]
00:11:08: Beleuchten wir noch kurz die weiteren Sätze. Der zweite Satz bringt eine gewisse Entspannung.
00:11:15: In der Literatur hat man ihn oft als eine Art Intermezzo in estur charakterisiert.
00:11:21: Aber das, was man sich da vorstellen würde, das wäre eine hübsche Gesangsmelodie in den ersten Geigen fein begleitet,
00:11:29: wäre eine instrumentale Aree. Von solchen Vorstellungen ist diese Musik weit entfernt.
00:11:35: Sie bleibt relativ holtschnittartig karg und auf eine faszinierende Weise dialogisch angelegt.
00:11:44: Wir hören zuerst einmal die Streicher im Dialog mit den beiden Vergotten,
00:11:50: was in der klassischen Instrumentalmusik gar nicht so häufig anzutreffen ist.
00:11:56: [Musik]
00:12:25: Auch in der Folge geht es dialogisch weiter. Die Streicher oberstimmen und die Streicher unterstimmen.
00:12:36: Treten da gegeneinander auf und gegen die Mitte des Satzes zu gibt es eine verbindende oder trennende,
00:12:44: je nachdem wie man will, eine Unisonoparty, wo alle Orchesterstimmen dasselbe spielen.
00:12:50: [Musik]
00:13:19: Der dritte Satz ist dann ein Minuet, wie sich das in der klassischen Symphonie gehört,
00:13:26: aber in diesem Fall ist es alles andere als ein eleganter Rokotansatz, eigentlich schroff und abweisend.
00:13:36: [Musik]
00:14:01: Eine wirkliche Aufhellung bringt in dieser Symphonie nur der Mittelteil des Minuets,
00:14:06: das sogenannte Trio, bei dem man im übrigen hören kann, warum dieser Satzteil immer Trio genannt wurde,
00:14:14: weil das aus dem Barock herkommt, wirklich ein Bläsertrio gewesen ist,
00:14:19: das sich gegen den Gesamtkorpus des Orchester kontrastierend gestellt hat.
00:14:25: Diese Tradition übernimmt Mozart und in dem Fall sind es im Wesentlichen die beiden Obonen
00:14:31: und die Vergotte, denen sich die Hörner nur hin und wieder stützend hin zugesellen.
00:14:37: [Musik]
00:14:58: Jetzt haben wir den freundlichen Teil der kleinen Gemohlsymphonie von Mozart auch schon erledigt,
00:15:05: denn auch das Finale hat nichts vom galanten Stil, ist ganz sturm und drang, wie man das damals genannt hat,
00:15:13: heftig auffallend und bewegt und vor allem nahezu durchgehend in Moll.
00:15:19: Anders als der Kopfsatz beginnt das Finale aber geheimnisvoll, flüstern, raunend
00:15:26: und man denkt, wenn das in duhre wäre, dann wäre das ein springlebendiges Finalthema,
00:15:33: aber der folgende Farteeinsatz des ganzen Orchester der führt uns in die unerbittliche Welt des Kopfsatzes zurück.
00:15:41: [Musik]
00:15:57: Eine der schönsten Momente in John Barbiroles Interpretation dieser Mozart-Symphonie ist die unmittelbar folgende,
00:16:04: ungemein weich und geschmeidig artikulierte Nebenidee.
00:16:09: Wiederum Musik, die die menschliche Stimme ins Spiel zu bringen scheint.
00:16:14: Und wiederum wird in Herrschemforte geantwortet.
00:16:18: [Musik]
00:16:37: Immerhin sind wir jetzt einmal noch in dieser Symphonie in duhre gelandet
00:16:42: und in der Folge bekommen wir ein bisschen einen Eindruck, wie emotional befreiend das klingen könnte,
00:16:49: wenn Mozart diese Moll-Symphonie nach all ihren Verstrickungen und Verwicklungen
00:16:54: in einem siegreichen G-Dur-Finale enden hätte lassen.
00:16:58: [Musik]
00:17:15: [Musik]
00:17:30: Über diesen Tonfall nimmt der Komponist rasch wieder zurück. Es geht finster
00:17:36: weiter wie im ersten Satz und ebenfalls wie im ersten Satz kehren die
00:17:40: Elemente, die ursprünglich in Dur gewesen sind, auch im Finale in Moll und mit
00:17:46: finsterer Miene zurück. Es gibt nicht viele Symphonien in der Musikgeschichte, die
00:17:51: dermaßen unversöhnlich und eigentlich trostlos enden.
00:17:57: [Musik]
00:18:12: Und nun, wie versprochen, die gesamte Aufnahme. 1941, New York, Mitglieder des
00:18:19: philharmonischen Orchesteres und der Sir John Barbieroli. 4 Sätze hat diese
00:18:25: Symphonien G-Moll, Kegelverzeichnis 183 von Mozart, Allegro Combrio, Andante
00:18:33: Minuetto und Allegro.
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00:33:51: Der heutige Musiksalon galt einer meiner Lieblingsaufnahmen. 1941 entstanden, Sir John Barberoli dirigierte die New Yorker Philharmoniker in einer Wiedergabe der kleinen G-Moll-Symphonie von Wolfgang Amadé Mozart.
00:34:08: Danke fürs Zuhören.
00:34:10: Der Musiksalon. Mit Wilhelm Senkowicz.
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